Von Marit Kappler
Wir befinden uns gerade auf dem Gelände des ehemaligen Alten- und Pflegeheims Feierabend. Welche Bedeutung dieses in der Geschichte des Nationalsozialismus spielte, lässt sich gut am Leben der Familie Kleeblatt nachvollziehen.
Salomon Kleeblatt war Kaufmann in Salder (das liegt zwischen Braunschweig und Hildesheim) und heiratete 1892 Helene Kleeblatt. Helenes Bruder Isaak heiratete Salomons Schwester Henriette. Zu viert führten sie ein erfolgreiches Handelsgeschäft in Salder, sodass sie sich ein stattliches Wohnhaus einrichten konnten.
Das Haus wurde zur Heimat von ihrem ältesten Sohn Arthur, der körperlich eingeschränkt war und beim Sprechen und Gehen Schwierigkeiten hatte, sodass er im Geschäft nur bei einfachen Arbeiten unterstützte. Der zweitgeborene Sohn hieß Walter, das jüngste Kind Edith. In Ediths zehntem Lebensjahr verstarb der Vater, Helene musste für einige Zeit den lokalen Einzelhandel alleine führen, nachdem auch die Mitteilhaber verstorben waren.
Das florierende Geschäft litt zunehmend unter dem immer stärker werdenden Antisemitismus. In nur wenigen Jahren vernichtete die Judenfeindlichkeit die Lebensgrundlage der Familie Kleeblatt. Allgemein wurden jüdische Kaufleute bedrängt und beschimpft. So hetzte auch der Pfarrer aus Salder über das etablierte Familienunternehmen Kleeblatt und führte ihren Erfolg auf Rücksichtslosigkeit und Egoismus zurück. Er bediente damit eines der gängigsten Vorurteile gegenüber jüdischen Kaufleuten im Nationalsozialismus.
Die gezielte Verdrängung jüdischer Unternehmerfamilien aus dem Wirtschaftsleben mit zahlreichen Boykottaufrufen ab 1933 ruinierte auch das Handelshaus Kleeblatt. Offene Rechnungen wurden nicht mehr beglichen und 1935 wurde es zu einer Geldstrafe von 75 RM verurteilt, schließlich musste die Familie Wohnhaus und Geschäft samt Warenlager und Grundstück an ihren Konkurrenten weit unter Wert verkaufen.
Ein Umzug wurde unausweichlich. Helene Kleeblatt, ihr Sohn Arthur und ihr Sohn Walter mit seiner Frau bezogen eine Wohnung in Hannover. Walter und seiner Frau gelang es, in die die USA auszureisen. Helenes Tochter Edith, ihr Mann und ihr Sohn Werner wollten auch in die USA emigrieren, scheiterten allerdings an der Ausreise in landeten in Belgien. Dort starb Edith, ihr Mann kam in verschiedene Gefangenenlager und verstarb in Auschwitz. Glücklicherweise konnte Sohn Werner sich mithilfe des jüdischen Untergrunds verstecken und 1946 in die USA ausreisen.
Somit lebten nur noch Helene und Arthur in Hannover, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Im Oktober 1939 kam Arthur in das Alters- und Pflegeheim hier in Langenhagen. Drei Jahre später kam auch Helene in das Heim. Sie gab als ihre letzte Adresse den Pavillon 13a an. Dies war für unsere Recherche sehr bedeutend, da dieser Pavillon heute das Stadtarchiv Langenhagen ist.
Am 22. Juni 1942 wurden Helene und Arthur aus dem Alten- und Pflegeheim entlassen, „nach Ahlem zum Abtransport“. Einen Tag später wurden sie nach Theresienstadt deportiert. Dort starb Helene 1942 im Alter von 76 Jahren. Arthur überlebte Theresienstadt und wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und dort mit 46 Jahren ermordet.
Helenes Sohn Walter Kleeblatt als Überlebender der Shoah wandte sich 1951 aus den USA an die Entschädigungsbehörde, um eine finanzielle Wiedergutmachung zu erhalten. Das Verfahren zog sich über Jahre hin: Nachdem ihm zunächst nur 210 DM zugesprochen wurden, konnte er schließlich die 7fache Höhe durchsetzen, 1510 DM. Bevor Walter die viel zu geringe Entschädigung erhalten konnte, verstarb er während des 15jährigen Verfahrens.
Wir erinnern uns an Familie Kleeblatt, deren Schicksal exemplarisch für andere jüdische Kaufmannsfamilien ist. Es ist wichtig, sich bei den Gräueltaten des Nationalsozialismus an einzelne Persönlichkeiten zu erinnern, um hinter den Zahlen die Menschen zu sehen.
Helene Kleeblatt war eine engagierte, erfolgreiche Unternehmerin und zugleich alleinerziehende Mutter mit einem beeinträchtigten Kind und Jüdin. Sicher war sie eine eindrucksvolle Persönlichkeit, die schließlich hier im Pavillon 13a lebte. Arthur hatte unter der Diffamierung als „unwertes Leben“ zu leiden. Den Kleeblatts geschah großes Unrecht. Das passierte nicht irgendwo auf der Welt, sondern hier in unserem Heimatort. Heute legen wir eine Stolperschwelle und schärfen damit das Bewusstsein in unserer Gesellschaft.

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