Die Belegung der Heil- und Pflegeanstalt Langenhagen war bereits vor dem Eigentumsübergang an den Provinzialverband Hannover im Jahr 1897 regelmäßig stark angestiegen. Waren Anfang 1884 noch 339 Personen in der Anstalt untergebracht gewesen, so waren es Anfang 1901 bereits 709 Personen.[1] Gleichzeitig reichte der Raum nach damaligen Maßstäben nur für knapp 450 Personen.[2] Um die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bei dieser Unterbringung begrenzen zu können, wurde bereits frühzeitig ein Isolierhaus eingerichtet. Zunächst wurde dafür ein ehemaliges Stallgebäude hergerichtet, das bereits 1901 in einem „mittelmäßigen Zustand“ war.[3] Dieses Gebäude lag südlich des Festsaals.[4] Die Anstaltsdirektion hielt das Isolierhaus bereits länger nicht mehr für geeignet, den Anforderungen gerecht zu werden, da es feucht und schwer zu erwärmen war.[5] Im Jahr 1909 beschloss der Provinziallandtag schließlich den Neubau des Isolierhauses am östlichen Ende des bebauten Anstaltsbereichs gemeinsam mit dem danebenliegenden Bettenhaus für 64 weibliche Kranke.[6]

Haus 13a, ehem. Isolierhaus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhagen[7]
Das eingeschossige Gebäude erhielt einen zentralen Schlafsaal mit etwa 75 Quadratmetern Grundfläche und einer Deckenhöhe von 5,30 Metern sowie zwei Einzelzimmer und einen Wärterraum von jeweils rund 15 Quadratmetern Grundfläche, ein Bad von gut 18 Quadratmetern Grundfläche und weitere Nebenräume.[8]
Das Isolierhaus wurde wie die gesamte Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt im April 1938 von der Hauptstadt Hannover übernommen, die dort ein Alters- und Pflegeheim einrichtete.[9]
Das Gebäude war in den 1940er Jahren unter der Adresse „Walsroder Straße 4h“ verzeichnet und trug die laufende Gebäudenummer 32. Die Bezeichnung des Gebäudes war „Haus XIIIa“ oder „Pavillon XIIIa“. Das nebenliegende Bettenhaus wurde als „Haus XIII“ bezeichnet.[10] Nachdem das Gelände durch den Abriss einiger Gebäude und Neubauten umgestaltet wurde, trug es in den 1970er Jahren die Bezeichnung „Haus 9“.[11] Heute trägt es die Adresse Stadtparkallee 33.
Belegungspolitik im Alters- und Pflegeheim
Für fünf der im Jahr 1942 aus dem Alters- und Pflegeheim als Juden deportierten Personen ist in den Vermögenserklärungen die Adressangabe „Haus 13A“ oder „Pavillon 13A“ angegeben und damit die Unterbringung im Isolierhaus nachgewiesen. Vier der Personen haben ihre Erklärung selbst erstellt und unterzeichnet, während bei fast allen anderen Deportierten die Fürsorgerin Clara Abrahamson die Erklärung ausgefüllt und unterzeichnet hat. Zu den nachweislich im Isolierhaus Untergebrachten gehören auch die beiden Pflegekräfte Regina Brieger und Erika Veit.[12]
Im Oktober 1938 wurde den jüdischen Krankenschwestern die Tätigkeit für nicht-jüdische Patientinnen und Patienten untersagt und das Gesundheitswesen dadurch getrennt.[13] Ab Juli 1939 waren alle „Juden“ Zwangsmitglieder in der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Die Reichsvereinigung war „Träger der jüdischen freien Wohlfahrtspflege“ und musste die Aufwendungen für die Pflege jüdischer Personen tragen. Sie war außerdem verpflichtet, eigene Einrichtungen für alle „anstaltspflegebedürftige[n] Juden“ vorzuhalten.[14] Es kann angenommen werden, dass diese Änderungen auch relevant für die Belegungspolitik im Alters- und Pflegeheim Langenhagen waren.
Ab August 1940 lebte die Pflegerin Erika Veit im Alters- und Pflegeheim, ab Dezember 1941 die Pflegerin Regina Brieger.[15] Beide waren zweifellos für die Pflege der „jüdischen“ Bewohnerinnen und Bewohner des Alters- und Pflegeheims zuständig. Es kann angenommen werden, dass auch vor August 1940 bereits eigenes Personal der Reichsvereinigung die Pflege übernommen hatte, das jedoch möglicherweise (noch) nicht im Alters- und Pflegeheim wohnte, sondern vermutlich im Israelitischen Krankenhaus in der Ellernstraße. Es ist weiter naheliegend, dass der Arbeitsweg von der hannoverschen Ellernstraße zu unpraktikabel wurde, nachdem im Mai 1940 eine nächtliche Ausgangssperre für die jüdische Bevölkerung verhängt wurde.[16]
Im September 1941 wurden bei der „Aktion Lauterbacher“ im September 1941 Jüdinnen und Juden durch die hannoversche Stadtverwaltung aus ihren Wohnungen vertrieben und in „Judenhäusern“ ghettoisiert.[17] Seitdem im April 1939 der Mieterschutz für „Juden“ gelockert worden war, hatte sich diese Politik des NS angekündigt.[18] Es kann nicht angenommen werden, dass nach September 1941 noch „Juden“ in solchen Bettenhäusern des städtischen Alters- und Pflegeheims untergebracht waren, in denen auch „deutsche Volksgenossen“ lebten.
Höchstwahrscheinlich sind demnach im Isolierhaus alle die Personen untergebracht und damit der Pflege durch die Pflegerinnen Brieger und Veit zugeordnet gewesen, die im Sinne der NS-Ideologie als „Juden“ galten.
Bis August 1940 sind im Alters- und Pflegeheim maximal 20 jüdische Personen gleichzeitig untergebracht gewesen.[19] Das Isolierhaus war nicht für eine solche Belegung errichtet worden. Gleichwohl lassen sich im Gebäude bei enger Belegung etwas über 20 Betten aufstellen. Es war demnach durchaus möglich, diese Personen gleichzeitig im Isolierhaus unterzubringen. Erst im Oktober 1941 stieg die Zahl auf 24 Personen, im Dezember 1941 auf 28 Personen und im Januar 1942 auf 29 Personen.[20] Vermutlich war es dann nicht mehr möglich, dass alle Personen ein eigenes Bett zur Verfügung hatten. Allerdings wurde offensichtlich von der hannoverschen Stadtverwaltung spätestens seit der „Aktion Lauterbacher“ im September 1941 auf solche Fragen keine Rücksicht mehr genommen.[21]
Für die gemeinsame Unterbringung im Isolierhaus spricht auch, dass die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner selbst von einem „jüdischen Altersheim“ oder „jüdischen Krankenhaus“ sprachen, in dem sie untergebracht waren. Regina Brieger gab im April 1948 zu ihren beruflichen Tätigkeiten an: „Anstellung als Krankenschwester in Hannover, dann Leiterin eines Heims bis zu ihrer Internierung im Lager Theresienstadt.”[22] Im Mai 1954 schreibt sie: „1939 kam ich in’s Jüdische Krankenhaus, Hannover, und wurde dann mit der Pflege der Jüdischen Abteilung in Langenhagen betraut.“[23] Erika Veit gab ihrem Bruder Philipp Veit ihre Adresse an als „Jüdisches Krankenhaus, Hannover-Langenhagen, Haus 13 a“.[24] Max Oppenheim gab im September 1946 für seinen Aufenthalt von 1940 bis 1941 an: „Altersheim Langenhagen/Judenhaus“.[25] Die Jüdische Gemeinde Hannover bescheinigte ihm im September 1949, „dass er auf Anordnung der Gestapo am 2. Dezember 1940 in das spec.[!] für Juden eingerichtete Altersheim innerhalb der Heil-u Pflegeanstalt Langenhagen, eingewiesen wurde“.[26]
Für die Belegungspolitik des Heims konnten bisher in den Verwaltungsakten der Stadt Hannover keine Belege aufgefunden werden.[27]
Aus dem Gesamtbild ergibt sich, dass höchstwahrscheinlich im Isolierhaus eine Zusammenführung der jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner des Alters- und Pflegeheims stattfand, die spätestens im August 1940 erfolgte, möglicherweise auch bereits nach Oktober 1938 oder Juli 1939.
Heutige Nutzung
In den 1990er Jahren erwarb die Stadt Langenhagen zusammen mit großen Flächen am Ostrand des Heimgeländes den Großteil des denkmalgeschützten Gebäudeensembles, darunter das Isolierhaus und das benachbarte Bettenhaus „Haus XIII“ / „Haus 9“. Während das Bettenhaus in den Jahren 1997/98 zur Volkshochschule umgebaut wurde, wurden am Isolierhaus mit einer Lage Dachpappe und der Instandsetzung der Regenentwässerung nur grundlegende Sicherungsarbeiten vorgenommen.[28]
In den Jahren 2010 bis 2012 wurde das Gebäude saniert und zur Nutzung als Stadtarchiv umgebaut. In diesem Zusammenhang wurde es als „Siechenhaus“ bezeichnet.[29]
Quellen
Buchholz, Marlis: Die hannoverschen Judenhäuser: zur Situation der Juden in der Zeit der Ghettoisierung und Verfolgung 1941 bis 1945, Hildesheim: Lax 1987 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 101).
Sueße, Thorsten: „Nervenklinik und Pflegeheim Langenhagen: von den Anfängen bis zum Ende der NS-Zeit“, in: Hannoversche Geschichtsblätter 42 (1988), S. 181–203.
- Vgl. 35. Hannoverscher Provinziallandtag, Drucksache Nr. 15, 12 Dez 1901, S. 4; Niedersächsisches Landesarchiv, Abt. Hannover, NLA HA, Hann. 150 Nr. 257, Bl. 25v. ↑
- Vgl. 35. Hannoverscher Provinziallandtag, Drucksache Nr. 15, S. 5; Bl. 26, a. a. O. ↑
- Vgl. 35. Hannoverscher Provinziallandtag, Drucksache Nr. 15, S. 10; Bl. 28v, a. a. O. ↑
- Heute befindet sich ungefähr an dieser Stelle das Gebäude Stadtparkallee 12. Vgl. 43. Hannoverscher Provinziallandtag, Drucksache Nr. 14, 17 Dez 1908, Anlage 1; Niedersächsisches Landesarchiv, Abt. Hannover, NLA HA, Hann. 150 Nr. 257, Bl. 71. ↑
- Vgl. 40. Hannoverscher Provinziallandtag, Drucksache Nr. 25, 12 Dez 1906, S. 6; Niedersächsisches Landesarchiv, Abt. Hannover, NLA HA, Hann. 150 Nr. 257, Bl. 52v. Sowie: 43. Hannoverscher Provinziallandtag, Drucksache Nr. 14, S. 7; Bl. 63, a. a. O. ↑
- Vgl. 43. Hannoverscher Provinziallandtag, Drucksache Nr. 14, S. 9; Bl. 73, a. a. O. ↑
- Foto: Bohley, Katrin: „Siechenhaus der ehem. Provinzial Heil- und Pflegeanstalt“, CC-BY-SA 4.0, Ansicht von Nordwesten (2020), https://denkmalatlas.niedersachsen.de/viewer/metadata/30969875/2/ ↑
- Ist in veränderter Form ausgeführt worden, die Verbindung zum nebenliegenden Bettenhaus fehlt hier noch: Planzeichnung „Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt : Isolierhaus“, 1909; Stadtarchiv Hannover, Bestand 1.NR.5.08.Heil-Pflegeanstalt.Langenhagen. ↑
- Vgl. Musfeldt, Dirk: „Das Alters- und Pflegeheim Langenhagen“, https://gedenkbuch-langenhagen.de/das-alters-und-pflegeheim-langenhagen/ (abger. 29.06.2025). Sowie: (Sueße, Thorsten: „Nervenklinik und Pflegeheim Langenhagen: von den Anfängen bis zum Ende der NS-Zeit“, in: Hannoversche Geschichtsblätter 42 (1988), S. 181–203, hier S. 188) ↑
- Karte „Lageplan vom Alters- und Pflegeheim der Hauptstadt Hannover“, 1946; Stadtarchiv Hannover, Bestand 1.NR.5.08.Heil-Pflegeanstalt.Langenhagen. ↑
- Karte „Pflegeheim ‚Feierabend‘ und Nervenklinik Langenhg. – Neubau ab 1975“, 1974; Stadtarchiv Hannover, Bestand 1.NR.5.08.Heil-Pflegeanstalt.Langenhagen. ↑
- Vgl. Oberfinanzpräsident in Hannover, Vermögensverwertungsstelle, Akten für Arthur Blumenthal, Helene Kleeblatt geb. Alexander, Arthur Kleeblatt, Regina Brieger geb. Kottlarzig, Erika Veit; Niedersächsisches Landesarchiv, Abt. Hannover, NLA HA, Hann. 210, Acc. 2004/023 Nrn. 32, 1351, 1352, 1361, 1365. ↑
- Vgl. Erste Verordnung über die berufsmäßige Ausübung der Krankenpflege und die Errichtung von Krankenpflegeschulen (Krankenpflegeverordnung) vom 28. September 1938, RGBl. I 1938 S. 1310, https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1938&page=1488 (abger. 03.01.2025). ↑
- Vgl. Zehnte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939, RGBl. I 1939 S. 1097, https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1939&page=1328 (abger. 03.01.2025). ↑
- Vgl. Oberfinanzpräsident in Hannover, Vermögensverwertungsstelle, Akten für Regina Brieger geb. Kottlarzig und Erika Veit, a. a. O. ↑
- Vgl. Seite „Liste antijüdischer Rechtsvorschriften im Deutschen Reich 1933–1945“, in: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Liste_antij%C3%BCdischer_Rechtsvorschriften_im_Deutschen_Reich_1933%E2%80%931945&oldid=256701249 (abger. 11.02.2024). ↑
- Zwischen dem 3. und 5. September 1941 mussten über 1.000 Jüdinnen und Juden ihre Wohnungen räumen und wurden in 14 „Judenhäuser“ eingepfercht. Vgl. (Buchholz, Marlis: Die hannoverschen Judenhäuser: zur Situation der Juden in der Zeit der Ghettoisierung und Verfolgung 1941 bis 1945, Hildesheim: Lax 1987 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 101), S. 39–52). ↑
- Vgl. Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939, RGBl. I 1939 S. 864, https://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1939&page=1095 (abger. 03.01.2025). ↑
- Eigene Berechnung nach: Alters- und Pflegeheim Langenhagen, Hauptregister; Stadtarchiv Hannover, StadtA H, 1.NR.5.08 Nr. 20683. ↑
- Ebd. ↑
- Vgl. (Buchholz: Die hannoverschen Judenhäuser, a. a. O). ↑
- Übersetzung aus dem franz. Original, Herv. d. Verf.: ITS Nachkriegszeitkartei, Ordner DP0510, Regina Brieger; Arolsen Archives, Sign. DE ITS 3.1.1.1 03010101 03 171, DocID 66700691https://collections.arolsen-archives.org/de/document/66700691 (abger. 26.07.2023). ↑
- Herv. d. Verf.: Regierungspräsident Hannover, Entschädigungsbehörde, Akte für Regina Brieger, geb. Kottlarzig, geb. 24.10.1874, nach Michael Meyer, Bl. E8; Niedersächsisches Landesarchiv, Abt. Hannover, NLA HA Nds. 110 W Acc. 84/90 Nr. 2136. ↑
- Übersetzung aus dem engl. Original, Herv. d. Verf.: Arolsen Archives, Korrespondenzakte Erika Veit, Sign. DE ITS 6.3.3.2 140.717, unpag. S. 17, DocID 87254484. ↑
- Herv. d. Verf.: Kreis-Sonderhilfsausschuss Hannover, Akte für Max Oppenheim, geb. 20.06.1876, o. Pag., Bl. 14; Niedersächsisches Landesarchiv, Abt. Hannover, NLA HA Nds. 110 W Acc. 20/99 Nr. 10. ↑
- Herv. d. Verf.: Kreis-Sonderhilfsausschuss Hannover, Akte für Max Oppenheim, Bl. 7, a. a. O. ↑
- Eingesehen wurden im Stadtarchiv Hannover die Archivalien StadtA H 1.HR.30 Nrn. 59, 69, 70, 71. Aktuell (2025) ist eine Benutzung im Stadtarchiv Hannover nur sehr eingeschränkt möglich. ↑
- Vgl. Stadt Langenhagen, Drucksache 2010/284, S. 3, https://www.langenhagen.sitzung-online.de/public/vo020?VOLFDNR=3610 (abger. 20.02.2025). ↑
- Vgl. Stadt Langenhagen, Drucksache 2011/260, S. 3, https://www.langenhagen.sitzung-online.de/public/vo020?VOLFDNR=3746 (abger. 20.02.2025). ↑
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